An der Womburgruine / Eine mögliche Fassung der alten Geschichte
Es ist schon lange her, da ging ein Strötzbacher Bub von Mömbris heim, und als er an den alten Mauerresten der Burg Womburg vorbeikam, sah er ein weißes Mäuslein aus einer Mauerritze kriechen. Verwundert blieb der Knabe stehen, und stutzte er noch mehr. Das Tierchen lief nämlich auf ihn zu, und wie er näher kam, bemerkte der Junge, dass es ein Goldstück im Schnäuzlein trug. Das Mäuschen ließ ihm nun die Münze vor die Füße fallen und solll mit feiner Stimme gewispert haben: "Sage keinem Menschen etwas!" Hernach raschelte es fort und war im Nu zwischen dem Gestein in einer der Fugen verschwunden. Der Junge befand sich zunächst wie im Traum und starrte auf das blinkende Goldstück. Dann nahm er es an sich und lief nach Hause. Sooft ihn später der Weg an der Ruine vorüberführte, kam die weiße Maus hervor gekrochen und legte ein Goldstück vor ihn hin. Der Knabe hielt lange seinen Mund und verriet nichts von dem Mäuslein und den Goldstücken.
Einmal aber sprang ihm das Geheimnis doch von den Lippen, und er erzählte seinen Kameraden, was sich an der Womburgruine ereignet hatte. Als er nun später wieder dort vorbeiging, spähte er vergeblich nach dem seltsamen Tierchen. Es zeigte sich nicht mehr und blieb für immer aus, und mit ihm auch das blanke Gold. In der folgenden Zeit konnte der Strötzbacher Bub kaum einen klaren Gedanken fassen. Das Verschwinden des Mäuschens und der Goldstücke ließ ihn nicht los. Er begann, die Ruine zu meiden, denn jeder Blick auf die verfallenen Mauern erinnerte ihn immer wieder an sein verlorenes Glück. Doch das Schicksal hatte andere Pläne für ihn.
Eines Nachmittags aber, als der Himmel sich in düsteren Grautönen zeigte und ein kalter Wind durch die Bäume strich, führte ihn sein Weg unweigerlich wieder zur Womburgruine. Dort, im Schatten der alten Gemäuer, entdeckte er eine verborgene Pforte, die ihm zuvor nie aufgefallen war. Getrieben von einer unbekannten Kraft, schob er die schwere Steintür auf und trat ein. Im Inneren der Womburgruine fand er sich in einem Labyrinth aus Gängen und Kammern wieder, die von flackernden Fackeln erhellt wurden. An den Wänden hingen alte Tapisserien, die Geschichten längst vergangener Zeiten erzählten. Der Junge spürte, dass dieser Ort ein Geheimnis barg, das weit über das hinausging, was er sich vorstellen konnte.
Während er tiefer in das Gewölbe vordrang, hörte er plötzlich ein leises Wispern. Es war die Stimme des weißen Mäuschens, doch diesmal war sie nicht allein. Andere Stimmen gesellten sich hinzu, jede mit ihrer eigenen Geschichte und ihrem eigenen Schicksal. Der Bub erkannte, dass die Ruine ein Sammelplatz für verlorene Seelen der ehemaligen Besitzer war, die auf Erlösung warteten. Mit jedem Schritt, den er tat, wurde ihm mehr bewusst, dass die Goldstücke nur ein kleiner Teil eines alten, viel größeren Rätsels waren. Er begegnete den Geistern der einstigen Bewohner, die ihm nacheinander ihre Geschichten anvertrauten und ihn baten, ihre unvollendeten Aufgaben zu erfüllen. Der Junge, der einst nur auf das Gold aus war, fand sich nun in der Rolle des Hüters der Vergangenheit wieder.
Der Strötzbacher Bub, wurde zu einem jungen Mann. Er konnte die Erinnerungen an das weiße Mäuslein und die geheimnisvolle Ruine nicht abschütteln. Die Goldstücke, die er einst gesammelt hatte, waren längst ausgegeben, doch die Rätsel, das sie umgaben, blieben ungelöst. Er beschloss eines Tages zur Ruinezurückzukehren, in der Hoffnung, das Mysterium zu entschlüsseln und auch die Wünsche der Seelen nach und nach zu erfüllen. Als er die Ruine erreichte, war der Ort zu seinem Leidwesen aber verlassen und still. Die Sonne stand tief am Horizont und tauchte die alten Steine in ein warmes, goldenes Licht. Der junge Mann trat vorsichtig über die noch vorhandene Schwelle und ließ seinen Blick über die verfallenen Mauern schweifen. Plötzlich hörte er ein leises Rascheln – nicht das eines Mäuschens, sondern das eines Papiers.
Er folgte dem Geräusch und fand in einer Ecke der Ruine einen alten, verstaubten Brief. Mit zitternden Händen öffnete er das vergilbte Pergament und begann zu lesen. Der Brief war von einem längst verstorbenen Bewohner der Womburg geschrieben worden und sprach von einem einst verborgenen großen Schatz, der tief unter der Ruine versteckt lag. Der junge Mann spürte, wie sein Herz schneller schlug. Könnte dies der Schlüssel zu einem der Geheimnisse sein, die ihn all die Jahre geplagt hatten? Er beschloss, dem Hinweis zu folgen und machte sich auf die Suche nach dem Schatz. Die Suche führte ihn durch dunkle Gänge und vergessene Kammern, bis er schließlich vor einer großen, eisernen Tür stand. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, schob er die Tür auf und trat in einen Raum, der zu seinem Erstaunen von Kerzen erleuchtet wurde. In der Mitte des Raumes stand ein alter Holzschrein, und als er ihn öffnete, fand er darin nicht nur Gold, sondern auch alte Artefakte, die von der Geschichte der einst Reichen Besitzer der Womburg zeugten. Der junge Mann erkannte darüber, dass der wahre Schatz nicht allein das Gold war, sondern das Wissen und die Erinnerungen, die diese alten Artefakte bedeuteten. Er beschloss, den Schatz zu bewahren und die Geschichte der Womburg für zukünftige Generationen lebendig zu halten.
Die Geschichte des Strötzbacher Bubs und der Womburgruine wurde zu einer Legende, die von Generation zu Generation weitererzählt wurde. Und obwohl niemand je wieder ein weißes Mäuslein sah, wussten alle, dass der Geist der Ruine durch den Jungen weiterlebte, der das wahre Gold gefunden hatte – die Geschichten und das Erbe derer, die vor ihm waren. Die Legende die das weiße Mäuschen und den verborgenen Schatze nannte wurde Teil der Geschichte der Womburg, und der junge Mann wurde als Hüter dieses Erbes bekannt. Und so lebt die Magie der Womburgruine weiter, in den Herzen der Alten, die die Geschichten hören und weitererzählen. Die Artefakte kamen in das örtliche Museum um doort für die Nachwelt erhalten zu werden. Leider hatte der Lauf der Geschichte mit einigen dieser Stücke eine eigene Planung und sie gingen in den bekannten Kriegen verloren.
Heute gibt es wieder Führungen durch die alten, ehrwürigen Mauern der Womburg bei Mömbris. Die alten Geschichten werden dabei erzählt und man hofft das sie nicht vergessen werden. Wie es aber mit dem Schatz weiterging ist nicht überliefert. Vielleicht ist er ja noch in der Womburg und wartet auf einen Finder oder Finderin. Es kann aber auch sein das irgendwann einmal wieder ein Junge aus Strötzbach an die Mauern der Womburg tritt und er dabei auf ein Mäuschen trifft das zu ihm sprechen kann. Ob es ihm dann von dem Schatz der Burg erzählt? Ich weiß es nicht da mir noch keine, auch noch so leise, sprechende Maus begegnet ist.
Dir, du Leser/in, vielleicht.